In Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Güstrow

Stolpern mit Herz

Gemeinsam erinnern – stolpern mit Herz und Kopf

Geschichte der Güstrower Synagogen


Das Wort Synagoge leitet sich aus dem Altgriechischen συναγωγή synagōgē ab. Dieser Begriff beinhaltet zwei Definitionen. Zum einen ist die Synagoge der Begriff für die sich versammelnde Gemeinde und zum anderen für das Gebäude an sich. Dieses Gebäude dient nicht nur dem jüdischen Gottesdienst, sondern auch für Gemeindeveranstaltungen und als Lehrhaus der jüdischen Gemeinde. So fand dort Erwachsenenbildung genauso wie der Hebräischunterricht für schulpflichtige Kinder statt. 

Im orthodoxen bzw. konservativen Judentum werden die Gotteshäuser Synagogen genannt. Einige andere benutzen aber auch die hebräische Bezeichnung Beth Knesset oder den jiddischen Begriff Schul. In größeren Synagogen werden drei tägliche Gebete angeboten: der Morgengottesdienst Shacharit, das Nachmittagsgeben Mincha und das Abendgebet Maariv. In vielen kleineren Gemeinden finden nur ein- oder zweimal in der Woche Gottesdienste statt. Zu den jüdischen Feiertagen und am Schabbat gibt es spezielle Gottesdienste. 


Da das Gotteshaus Synagoge kein geweihter Raum ist, kann jeder Ort als Synagoge dienen, wenn er gewissen Anforderungen gerecht wird. An der Ostwand in Richtung Jerusalem (Misrach) werden in einem speziellen Schrein (Aron h-Qodesch) die Tora-Rollen aufbewahrt. Über dem Schrein ist eine symbolische Gebotstafel, ähnlich den zehn Geboten, und ein Licht (Ner Tamid) angebracht. Vor dem Schrein befindet sich der Lesepult (Bima), auf dem die heilige Tora zum Vorlesen gelegt wird. Zudem schmückt ein siebenarmiger Leuchter (Menora) den Raum. Für die Trennung der Geschlechter gibt es keine speziellen Vorgaben, diese sind baulich unterschiedlich gelöst bzw. auch teilweise unberücksichtigt.

Die erste Synagoge in Güstrow Gebiet des heutigen Klosterhofes

Die zweite „Synagoge“ der Stadt Güstrow  auf dem Ratsbauhof 

Die dritte Synagoge der Stadt Güstrow wurde am 28. September 1829 eingeweiht

Die erste Synagoge in Güstrow

Auf dem Gebiet des heutigen Klosterhofes befand sich die erste Synagoge Güstrows, die im Jahre 1330 einem Pogrom zum Opfer fiel. Der Geschichte nach lebte eine zum Christentum bekehrte Jüdin, die sich mit ihrer jüdischen Schwägerin stritt. Die Schwägerin warf ihr vor, dass sie sich nur hatte taufen lassen, um wollüstiger leben zu können. Die Bekehrte war außer sich und erklärte ihre Beweggründe zu konvertieren mit einer Geschichte, die sie öffentlich machen wollte. In dieser Geschichte hatte eine Güstrower Christin einem Juden eine geweihte Hostie verkauft, die dieser dann in der Synagoge zerstochen hat. Daraufhin fing die Hostie an mehreren Stellen an zu bluten und die Teilnehmenden vernahmen eine Kinderstimme, obwohl keines anwesend war. Das nahm die Jüdin zum Anlass und konvertierte unverzüglich zum Christentum und bat damit um Vergebung ihrer Sünden. 1

Diese Geschichte verbreitete sich schnell und alle Juden der Stadt wurden gefangen genommen und auf fürstlichen Befehl hin mit Folter zu den Vorwürfen der Hostienschändung befragt. Dabei kam es aber zu keinem Geständnis der Juden. Die im Zuge dieser Geschichte verhaftete Christin, die die Hostie verkauft haben soll, gestand sofort und wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Um weiteren Gotteslästerungen dieser Art aus dem Weg zu gehen, bemühten sich die Christen den angesehensten Juden namens Eleasar der Stadt samt Familie zur Taufe zu bewegen, in der Hoffnung, dass es ihm die restlichen 23 Juden gleichtun.


Dazu kam es aber nicht, so dass auf Erlass des damaligen Herzog Johann II. alle Juden mit ihren Familie ebenfalls auf dem Scheiterhaufen kamen. Danach durchsuchte man das Haus des Juden Eleasar und fand die vermeintlich geschändete Hostie. Der darauf folgende Zorn der Bevölkerung führte zur Zerstörung der Synagoge. Gefördert wurde dieser Antisemitismus von der Vorwurf, dass die Juden allein für den Tod Jesu Christi verantwortlich seien und sie aufgrund ihrer strengen Speisevorschriften nur vereinzelt an den regelmäßig auftretenden Seuchen erkrankten, wodurch sie wiederum in den Verdacht der „Brunnenvergifter gerieten.2 Aus dem Vermögen der hingerichteten Juden wurde am alten Standort der Synagoge eine Heiligblutskapelle oder Fronleichnamskapelle errichtet und dort angeblich die zerstochene Hostie aufbewahrt. Beim großen Stadtbrand 1503 fiel die Kapelle dem Feuer zum Opfer. Anschließend wurde dort 1509/10 ein Franziskanerkloster gebaut.

Die zweite „Synagoge“


Seit der Zerstörung der Güstrower Synagoge um 1330 gab es bis zum Ende des 18. Jahrhundert kein jüdisches Gemeinde Leben in Güstrow mehr und demzufolge auch kein jüdisches Gotteshaus, was aber nicht heißen soll, dass es keine Juden gab. Als sogenannte Schutzjuden lebten in Güstrow von 1749 bis 1800 sieben männliche Schutzjuden mit ihren Familien. 3

Sie waren rechtlich gesehen nur geduldet und durften sich ohne eine Landesherrliche Spezial-Konzession nur zu Jahrmärkten im Land aufhalten. Sie waren vom zünftigen Handwerk ausgeschlossen und durften kein Land besitzen. Erlaubt war ihnen der Handel, so auch den Güstrower Schutzjuden, die als Hausierer und Trödler arbeiteten. Nach und nach kamen immer mehr Juden nach Güstrow, die für ihre nun wieder stattfinden Gottesdienste einen Raum benötigten. Dafür wurde eine Wohnung auf dem Ratsbauhof Baustraße/Ecke Armesünderstraße angemietet und als Betstube genutzt. 

Die 3. Synagoge der Stadt Güstrow


Mit der Neuansiedlung der Juden in Mecklenburg wuchsen die jüdischen Gemeinden stetig, so auch in Güstrow. Mit dem zunehmenden Wachstum wurde der Wunsch nach einer eigenen Synagoge immer lauter. Doch erst im Jahre 1829 konnte durch dem Nachlass einer Frau Jacobsen und mit Spenden die finanziellen Mittel für den Bau der Synagoge in Krönchenhagen 13 bereitgestellt werden. Es wird vermutet, dass ein älteres Gebäude auf demselben Platz zuvor als Synagoge genutzt und für den Neubau abgerissen wurde.

Der Neubau wurde am 28. September 1829 eingeweiht. Es handelte sich hierbei um einen einstöckigen klassizistischen Bau, der nicht direkt an der Straße sondern nach hinten versetzt gebaut worden war. Im vorderen Bereich zur Straße hin befand sich ein kleiner Garten mit Bäumen, die Schatten spendeten.

In der lokalen Presse vom „Freimüthigen Abendblatt” vom 22.10.1829 war zu lesen:

„ ... Es gereicht überhaupt der hiesigen jüdischen Gemeinde eben so sehr zur Ehre, dass sie die erste im Lande ist, die einen dem Geiste der Zeit, mehr entsprechenden Kultus eingeführt hat, als das Aufrichten eines Gotteshauses, welches vermöge seines Äußeren eine Zierde hiesiger Stadt geworden ist. Dieses Gebäude massiv, in einem einfachen, aber schönen Stiele gebaut, liegt in einem Garten mit englischen Partieanlagen, welcher gegen die Straße mit Säulen und Staketen bewahrt ist, und verdient die Synagoge sowohl wegen ihrer zweckmäßigen inneren Einrichtung, als der geschmackvollen Verzierungen, die sie enthält, einer rühmlichen Erwähnung. ...” 

In der Synagoge fanden neben den Gottesdiensten auch die Gemeindeversammlungen und der Religionsunterricht statt. 1870 wurde links neben der Synagoge das jüdische Gemeindehaus errichtet, welches bis heute noch erhalten ist. Im Obergeschoss wurde ein Betsaal eingerichtet, der auch als Wintersynagoge genutzt wurde. Im Gemeindehaus wohnte der Religionslehrer, der dort den Religionsunterricht in dem 1882 dafür eigens angebauten Schulraum stattfinden ließ. Hier kamen nicht nur die Kinder aus Güstrow sondern auch aus Juden aus Neustrelitz und Schwerin schickten ihre Kinder nach Güstrow, um dort zu lernen Im Jahre 1901 und 1929 wurde der Innenraum renoviert. Außerdem bekam die Synagoge 1929 ein blaues Schieferdach und einen weißgelben Anstrich. 

Der Jude Ali Grossmann, der damals als Kind in der Baustraße in Güstrow lebte und den Holocaust überlebte, fasste seine Erinnerungen zur Güstrower Synagoge viele Jahre später folgendermaßen zusammen: 

"An Feiertagen kamen alle Juden aus den kleinen, naheliegenden Orten, um am Gottesdienst teilzunehmen. Die Stadt Güstrow hatte eine prächtige Synagoge, die auch den Juden im Umkreis diente. Als Gäste wohnten sie dann bei jüdischen Familien bis zum Ende der Feiertage. Alfred Blumenfeld war der Kantor. Er war sehr klein, hatte aber eine kräftige Stimme, die durch die halbe Stadt gehört werden konnte. An Jom Kippur betete er mit großer Andacht und jedes gesungene Wort wurde für eine Ewigkeit ausgeschnörkelt. Ich hatte eine Taschenuhr mit einem Deckel und von Zeit zu Zeit schaute ich, wie lange er brauchte, um ein einziges Wort zu beenden. Ein Hausmeister mit seiner Familie verwaltete den ganzen Synagogen-Komplex. Sie wohnten in einer der Wohnungen, die zur Synagoge gehörten - der Vater, seine Frau und ihr zwölfjähriger Sohn. Sie waren Christen und ihre Aufgabe war es, alle Gebäude zu reinigen und in allerbester Ordnung zu halten. Freitagabend zu Beginn des Schabbats zündeten sie die Gaslampen an und am Ende des Schabbats, am Samstagabend löschten sie die Lampen wieder aus. Sie bereiteten Kaffee und Kuchen vor, der der Gemeinde nach dem Gottesdienst serviert wurde. Sie legten auf jeden Platz ein Gebetbuch und eine Bibel und kassierten das Geld für den Eintritt der Synagoge an Feiertagen. Der Vater führte meistens alle diese Dienste aus, während die Frau die hausfraulichen Arbeiten verrichtete. Vater und Sohn betraten die Synagoge immer ohne Kopfbedeckung, was immer sehr komisch auf mich wirkte."

Als Religionslehrer bzw. Kultusbeamte sind Dr. Moritz Löwe (1841-49), Jehuda Hamburger (1849-64), Dr. Louis Roth (1864-68), Dr. Leopold Löwenstein (1868-70), Leopold Donath (1870- 76) und der Wanderlehrer Steinweg (1913-17) bekannt. Der letzte Religionslehrer der jüdischen Gemeinde in Güstrow war Kurt Schatz (ab 1938), der mit seiner Familie in Auschwitz ums Leben kam. Bis zur Reichspogromnacht vom 09. zum 10. November 1938 fanden in der Synagoge regelmäßig Gottesdienste statt, die von der immer kleiner werdenden Gemeinde besucht wurden.

In den Morgenstunden des 10. Novembers, um 5.30 Uhr wurde die Synagoge von Güstrower SS-Leuten in Brand gesetzt. Die Feuerwehr schützte die angrenzenden Gebäude. Die Synagoge selbst wurde nicht gelöscht Das Gemeindehaus und der Schulungsraum, in dem sich heute ein Atelier befindet, blieben unversehrt und bis heute erhalten.

Mahnende Erinnerungen in Güstrow

Heute befindet sich auf dem Grundstück ein Parkplatz und seit dem 18. August 2006 eine im Fußgängerweg vor dem Parkplatz befindende Inschrift: „28. September 1829 Einweihung / Synagoge Güstrow / 9. November 1938 Zerstörung“. 5


In der Pfarrkirche haben die Besucher Güstrows die Möglichkeit, sich ein Modell der Synagoge anzuschauen und im Dom der Barlachstadt eine mahnende Dokumentation  der Ereignisse  vom 09.11.1938.

Gedenktafel

"Die letzte Synagoge der Stadt Güstrow"

Im Rahmen der jüdischen Gedenktage in Güstrow, wurde am 09. November 2023 eine Andacht vor der ehemaligen Synagoge zum Erinnern an die Reichspogromnacht 1938 mit gleichzeitiger Einweihung der Gedenktafel(n) durchgeführt.  Die Gedenktafel zeigt und gibt Informationen über den Ursprung der Synagoge vor der Zerstörung. Die zweite Tafel gibt die Informationen noch einmal in Englisch und Hebräisch wieder. Wir, die  Initiative jüdisches Gedenken sind sehr dankbar, diese beiden Tafeln der Stadt schenken zu dürfen.

Quellenverzeichnis:

1 www.juden-in-mecklenburg.de/Geschichte/Hostienschaendung_Guestrow_1330

2 Mastaler, Wilhelm: Eine Güstrower Stadtkunde. Schriftenreihe des Archivs der Stadt Güstrow Nr. 1, Rostock 1996.

3 Francke, Norbert; Krieger, Bärbel: Schutzjuden in Mecklenburg. Ihre rechtliche Stellung. Ihr Gewerbe. Wer sie waren und wo sie lebten. Schwerin 2002

4 Geschichten von Ali Grossmann, Nachlass Folker Hachtmann

5 www.juden-in-mecklenburg.de/Synagogen/Synagoge_Guestrow


Bildquellen:

Innenraum der Synagoge, 1930, Quelle: Museum Güstrow (Hrsg.): Ausstellungsführer Güstrow im 20. Jahrhundert. Güstrow o. J., S. 31

Innenraum der Synagoge Güstrow, 1930, Quelle: Nachlass Hachtmann 

Stadtansicht von Güstrow vor 1938, Synagoge unten rechts (weißes Gebäude) in Sütterlin geschrieben: Meine Adresse ist Sturzrehm, Güstrow Molkerei (u) Lehranstalt Quelle: Nachlass Folker Hachtmann


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